Thursday, 22 June 2017

Zeit, 21.06.2017

Auf dem Hotelbalkon sitzt eine vertraute Gestalt: Joachim Löw, dessen Bekanntheit längst über das Amt des Nationaltrainers hinausgeht, trägt ein schwarzes T-Shirt, eine schwarze, elegant geschnittene Freizeithose, Turnschuhe ohne Schnürsenkel. Die Uhr am rechten Handgelenk, links ein Armband aus schwarzem Leder – sein Glücksbringer. Der 57-Jährige wirkt angespannt angesichts des bevorstehenden Turniers. Hinter der gewohnten Erscheinung hat sich jedoch etwas verändert, das spürt man schnell. Löw ist selbstsicherer, im Fußball hat das gleich was Rebellisches – er scheint sich dabei wohlzufühlen. Wo früher ein Blick ins Leere war, sucht er heute nach Konfrontation. Wenn es ernst wird, politisch, dann lehnt er sich nach vorn, wählt kurze, prägnante Formulierungen. Zwischendurch gönnt er sich immer wieder Pausen zum Nachdenken. Die vereinbarte Redezeit wird überschritten – trotz der Dauerbewachung durch zwei Pressesprecher. DIE ZEIT: Herr Löw, wir haben wenig Zeit, aber viele Fragen, wollen wir uns im schnellen Kombinationsspiel nach vorne versuchen? Joachim Löw: Sie kommen gerade von Bastian Schweinsteiger, nicht wahr? ZEIT: Stimmt. Aber er spielt ja nicht mehr für die Nationalmannschaft. Löw: Wie geht es ihm? ZEIT: Gut, er genießt sein neues Leben in der Unabhängigkeit. Löw: Der Basti ist ein guter Mensch, wissen Sie, was ich meine? So richtig von innen heraus gut. ZEIT: Ist Ihnen das wichtig bei der Zusammenstellung des Kaders, "von innen heraus gute Menschen" zu nominieren? Löw: Die fußballerische Qualität ist natürlich die Voraussetzung. Aber wir haben den Anspruch, dass diese Mannschaft, die ihr Land vertritt, auch nach außen für etwas steht. Das geht nur mit Spielern, die integer sind. So was merke ich sofort. ZEIT: Führt das nicht zu Langeweile, zu einer Gleichförmigkeit? Braucht eine Mannschaft nicht Reibung, Rebellion, Aufmüpfigkeit? Löw: Mit diesem Mythos muss ich jetzt endlich mal aufräumen. Die neue Generation ist anders, als ihr Bild in der Öffentlichkeit gezeichnet wird. Es heißt immer wieder, die Spieler seien alle gleichförmig, es gebe keine echten Typen mehr. ZEIT: Ganz nett halt. Löw: Die Spieler können offen ihre Meinung sagen. Sie differenzieren sehr klar, reflektieren sich, sehen, was problematisch ist, sind selbstkritisch. ZEIT: Woran merken Sie das? Löw: Sie schweigen nicht vor sich hin und führen einfach das aus, was ich ihnen sage. Sie drücken ihre Gefühle und Gedanken dezidiert aus. ZEIT: Aber in den wenigsten Fällen öffentlich. Löw: Genau darum geht es doch. Wenn sie im persönlichen Gespräch mit mir kritisch reflektieren, dann haben sie gar keinen Grund, sich öffentlich zu wehren oder zu kritisieren. Das bedeutet nicht, dass ich ihnen Redeverbot erteile. Ich wünsche mir Charaktere, die für etwas stehen und für Versäumnisse einstehen. ZEIT: Wie läuft die Auseinandersetzung ab? Löw: Sie kommen zu mir und sagen: "Trainer, ich sehe das anders." Und dann diskutieren wir, und manchmal lasse ich mich auch überzeugen. ZEIT: Wann geschieht das? Während des Trainings? In der Halbzeitpause? In den Abendstunden eines Turniers? Löw: In den unterschiedlichsten Momenten. Das kommt gar nicht so selten vor – und es imponiert mir. Spieler wie Joshua Kimmich und Julian Brandt sind durchaus mutig. Vor zehn Jahren waren junge Spieler meist leise. Haltung ist ja deshalb so wichtig, weil die Spieler auf dem Platz auch mutig sein müssen, Ideen kreieren, Lösungen finden, kommunizieren und sich durchsetzen sollen. ZEIT: Sie spielen gerade beim Confed Cup in Russland, einem Turnier, das bis zum 2. Juli läuft und bei dem die Sieger der jeweiligen Kontinentalwettbewerbe, der Gastgeber und der amtierende Weltmeister antreten. Der Wettbewerb findet immer ein Jahr vor der WM als Generalprobe statt und wird von vielen als überflüssig bezeichnet. War es eine große Überwindung für Sie, sich dafür zu motivieren? Löw: Für mich als Trainer ist dieses Turnier ein Geschenk. ZEIT: Es ist ein Geschenk, mehrere Tausend Kilometer von Spielort zu Spielort fliegen zu müssen mit dem Wissen, es geht um nichts? Löw: Es ist deshalb so wertvoll für mich, weil es mir dabei hilft, unser nächstes Ziel zu erreichen, die WM im kommenden Jahr erfolgreich zu bestreiten. Sehen Sie es als eine Art Etappe auf dem Weg zum nächsten Titel. Es ist eine Mission. Wir wollen Spielern helfen, besser zu werden. Wir wollen sie auf das nächste Level heben. Das brauchen wir, wenn wir den WM-Titel in Russland gewinnen wollen. Jetzt kann ich in einer Drucksituation experimentieren. Etwas Schöneres gibt es doch kaum für einen Trainer. ZEIT: Ihnen wurde lange vorgeworfen, Sie scheuten sich vor einem Neuanfang, einem Einschnitt. Löw: Sie können mir durchaus zutrauen, ein Gefühl dafür zu haben, wann der richtige Zeitpunkt für Veränderungen gekommen ist. Die will ich in diesen zwei Wochen herbeiführen und einen neuen Konkurrenzkampf unter den Spielern herstellen. ZEIT: Aber Sie haben doch all die erfahrenen Spieler wie Thomas Müller, Mats Hummels oder Toni Kroos in den Urlaub geschickt. Löw: Wie sollen sich denn die weniger erfahrenen Spieler sonst beweisen? Genau diese sollen doch im internationalen Vergleich den Druck kennenlernen und gegenüber den Etablierten aufholen. Außerdem ist es eine wertvolle Erfahrung für sie, in einem Land wie Russland aufzutreten. ZEIT: Merkt ein Spieler überhaupt, wo er spielt? Merken Sie, wo Sie sich als Trainer befinden? Löw: Die wichtigste Erfahrung findet wie immer auf dem Platz statt. Jeder unserer Gegner steht für eine eigene Mentalität, einen eigenen Stil, damit müssen wir uns zurechtfinden. Aber wir können mehr mitnehmen. Wir Trainer lernen die Abläufe und Entfernungen in diesem Land besser kennen, das kann nächstes Jahr ein Puzzleteil sein. ZEIT: Wir wollten auf etwas anderes hinaus: Sie sind Kopf der Mannschaft, Ihre Bekanntheit geht mehr als die der einzelnen Spieler über Deutschland hinaus. Spielt die politische Situation im Gastgeberland für Sie eine Rolle? Denken Sie darüber nach, dass Putin das Turnier nutzen könnte, um die Opposition noch weiter zu unterdrücken? Löw: Das ist doch auch ein Teil der Mündigkeit. Natürlich sprechen wir darüber. Wir haben unsere Spieler auf die Situation in Russland vorbereitet. Wir haben ihnen Informationen über eine App auf ihrem Handy zusammengestellt, auf der alle politischen Hintergründe genau beschrieben sind. ZEIT: Wer hat diese App gestaltet? Löw: SAP. ZEIT: Und was genau steht drin? Löw: Die App ist die Plattform, über die Trainer, Spieler sowie Betreuer miteinander kommunizieren. Scouts und Videoanalysten stellen dort genauso Informationen ein wie unsere Fitness-Coaches oder die Pressesprecher. Über Russland finden sich Infos zu Land und Leuten, aber auch zu Hintergründen und kritischen Fragen. Russische Historie und Kultur gehören genauso dazu wie gesellschaftspolitische Themen. ZEIT: Und Sie glauben, die Spieler lesen das? Löw: Das ist sicher individuell verschieden. Es ist ein Angebot für die Spieler, die sich auch abseits des Rasens weiterbilden wollen. Und das sollen sie, die Spieler sollen sich zu Persönlichkeiten entwickeln. Auf und neben dem Platz. Ich werde immer wieder nach der Rolle unserer Mannschaft gefragt. Wir wollen auf die Menschen in Russland zugehen, Interesse an ihnen zeigen. Offen sein. Wir haben hier in Sotschi Kinder und Jugendliche zum Training eingeladen. Nach unserem Spiel in Dänemark haben wir in Kopenhagen eine Pressekonferenz in einer Schule abgehalten. Das können wir auf unserer Ebene für die Völkerverständigung tun. Es ist mir bewusst, dass wir Sportler Verantwortung tragen. Ich blende politische Fragen nie aus. ZEIT: Ist es vertretbar, in einem Land wie Russland, in dem Kritiker des Präsidenten Wladimir Putin gewaltsam unterdrückt werden, eine Fußball-WM auszurichten? Löw: Da bin ich wieder bei den Menschen. Ich habe das Gefühl, die Menschen hier freuen sich genauso, Gastgeber einer WM zu sein, wie wir es 2006 getan haben. Natürlich würde ich mir wünschen, dass jedes Land, in dem wir antreten, demokratische Grundregeln beachtet. Aber ist es nicht ein wenig zu viel von einer Fußballmannschaft verlangt, die politische Situation in Russland zu verändern? Wir sollen Probleme lösen, die die Politik nicht überwindet? Wir wollen zur Verständigung beitragen. Beim Confed Cup vor vier Jahren in Brasilien demonstrierten Hunderttausende für Gesundheit, Bildung und gegen Korruption. Auch das habe ich aufgesaugt. Ich informiere mich, weil es mich interessiert. Wir als Fußballmannschaft haben eine direkte Beziehung zu den Menschen, zum Volk. Ich will meine Rolle nutzen und im Kleinen für Werte stehen: Offenheit, Toleranz, Vielfalt. Da sind wir zurück am Anfang unseres Gesprächs. Es mag schnell etwas abgedroschen wirken, zu sagen, man wolle Werte nach außen vertreten. Aber ich glaube daran, dass man mit einer Vorbildfunktion etwas verändern kann. Da geht es nicht darum, laut zu sein, es geht nicht um Effekthascherei. ZEIT: Sondern um eine sanfte Form der Rebellion? Löw: Meine Form. ZEIT: Welchen Eindruck haben Sie von Russland? Löw: Ich war im vorigen Jahr bereits in St. Petersburg bei der Auslosung und habe viele Leute getroffen, auch einfache Menschen – Taxifahrer, Busfahrer, Hotelpersonal. Ich habe gelernt: Die Russen sind freundlich, kommunikativ, belesen. Sie begegnen mir trotz unserer schwierigen, belasteten Geschichte freundlich. Das ist nicht selbstverständlich. Sie betrachten uns Deutsche als im Kern ähnlich, in Teilen sogar fast schon als Vorbild, in der Organisation, auch im Fußball. ZEIT: Sie haben eine starke Glaubwürdigkeit, vielleicht noch stärker als Politiker. Spüren Sie das im Umgang mit den Menschen? Löw: Schon, ja, ich habe als Nationaltrainer Autorität, aber ich kann diese Autorität auch auf meine Art interpretieren und ausleben. Wir haben den Brasilianern bei der WM ja auch auf spezielle Art imponiert. Man hat uns als sympathische Mannschaft empfunden, die Lust hatte auf dieses Land. Nach dem 7:1-Sieg im Halbfinale gaben sich meine Spieler nicht arrogant, sondern fanden tröstende Worte. Das ist Fairplay. ZEIT: Das war ja auch nicht so schwer. Löw: Unterschätzen Sie das nicht! Genau deshalb haben die Brasilianer diese Mannschaft geliebt. Auf der Fahrt ins Campo Bahia standen Kinder auf der Straße, sie haben uns zugejubelt. Man stelle sich ein 7:1 gegen Italien vor, das wäre wohl anders gelaufen. ZEIT: Haben Sie Angst, beim Confed Cup zu scheitern? Löw: Was meinen Sie mit "scheitern"? ZEIT: Sollten Sie mit diesem Kader die Vorrunde gegen Australien, Chile und Kamerun nicht überstehen, dann könnte Ihnen die Experimentierfreudigkeit als Hochmütigkeit ausgelegt werden. Löw: Glauben Sie mir, erstens leide ich nicht an Hochmut, und zweitens würde ich das aushalten. Ich sehe nur Chancen für uns in diesem Turnier, null Risiko. ZEIT: Das können Sie sich im Gegensatz zu vielen Kollegen herausnehmen, weil Sie bereits den WM-Titel gewonnen haben. Löw: Es gab Phasen, da wäre das einem Bundestrainer schwerer gefallen. Aber ich mache das, weil ich es so will, ich handle aus Überzeugung, immer. So hätte ich auch in meinem ersten Jahr entschieden. ZEIT: Heute können Sie das gut sagen. Löw: Es ist so, das können Sie mir glauben – oder nicht. ZEIT: Haben Sie eigentlich auch mit den Spielern gesprochen, die Sie nicht eingeladen haben? Mit denen, die noch nicht in den Genuss großer DFB-Erfolge gekommen sind? Löw: Das sind die schwierigsten Gespräche. Ich habe sie alle persönlich angerufen. Ich weiß ja, wie weh das tut. Aber wenn ich von ihnen verlange, dass sie mutig sind, dann muss ich mich auch diesen Situationen stellen. ZEIT: Gab es Widerspruch? Löw: Erst waren sie überrascht über meinen Anruf und auch irgendwie dankbar, es auf diese Weise zu erfahren. Aber natürlich sagen sie mir auch, dass sie es nicht nachvollziehen können. Originally on http://www.zeit.de/2017/26/joachim-loew-deutsche-nationalmannschaft-interview BACK-UP

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